Die Geschichte zur Glasmalerei
„Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Salpeter, 3 Teile Kreide, mische sie und du erhältst Glas"
Aus der Tontafelbibliothek König Assurbanipals, der im siebten vorchristlichen Jahrhundert in Assyrien herrschte, stammt dieses älteste überlieferte Rezept zur Herstellung von Glas. Und damit sind die Hauptbestandteile genannt, aus denen noch immer Glas gemacht wird. Der feste durchsichtige Stoff, der früher vor allem der Herstellung dekorativer Kostbarkeiten diente, ist heutzutage allgegenwärtig, mal als Massenprodukt der Verpackungsindustrie, mal als einfache oder kunstvolle Gefäße, als Fenster oder sogar als unentbehrlicher Faktor der Spitzentechnologie wie beispielsweise in der Glasfasertechnik.
Die entscheidende Erfindung zur Massenherstellung von Glas gelang etwa 30 v. Chr. vermutlich jüdischen Handwerkern: die Glasmacherpfeife, das Arbeitsgerät der Glasbläser.
Erst viel später, nämlich im fortgeschrittenen Mittelalter sollten dann wieder Innovationen, die die Anwendungsgebiete des Glases erweiterten, folgen. Der technische Durchbruch in der Herstellung erschwinglicher, durchsichtiger Fensterscheiben ist dabei an erster Stelle zu nennen: Der französische Glasmacher Philipp de Cacqueray fertigte die ersten Butzenscheiben.
Die Glasmalerei ist die einzige ausschließlich abendländische künstlerische Technik; eine Technik zur Herstellung farbiger Glasfenster, die sich seit bald 12 Jahrhunderten fast unverändert erhalten hat. "Die Herstellung eines Glasfensters", so Hans H. Hofstätter, "ist kein Malvorgang, auch wenn Malerei ergänzend hinzutreten kann, sondern sie besteht primär im Verarbeiten farbiger flacher Glasteile und deren Zusammensetzung und Verbindung mittels Bleiruten. Wenn dies überhaupt mit etwas zu vergleichen ist, dann mit dem Vorgang bei der Herstellung von Mosaiken, und dementsprechend hat man sich auch auf die Bezeichnung "musivische Glasmalerei" geeinigt, im Gegensatz zur Glasbemalung, auch Kabinettmalerei genannt... Was die musivische Glasmalerei gegenüber allen übrigen Künsten besonders charakterisiert, ist ihr Verhältnis zu Architektur, Raum und Licht."
Dies freilich konnte sie erst im 12., 13. und 14. Jahrhundert voll entwickeln und zu hoher Vollendung führen. Seit dem 9. Jahrhundert nachweisbar, hatte das Glasfenster in der Romanik, deren Kirchenbauten vom Raumdunkel bestimmt und vor allem vom Licht der Kerzen erfüllt waren, nur eine partielle Funktion. Der älteste fragmentarisch erhaltene Fensterzyklus befindet sich im Augsburger Dom; die Scheiben entstanden um 1140.
Die Gotik mit ihrem neuen Wölbesystem steigert dagegen die Architektur der Fenster im äußersten Fall bis zu einer Höhe von 40 Metern und erweckt im Idealfall die Illusion, dass die Wände überhaupt aus Glas und nicht mehr aus Mauerwerk bestünden. Die durchscheinenden Wände aus Farbglas übernahmen nun anstelle der Wandmalerei die Belehrung der - häufig analphabetischen - Gläubigen. Den größten Anteil an der gotischen Glasmalerei hat Frankreich, beispielsweise mit den Kathedralen von Chartres, Bourges und Reims oder der nördlich von Paris gelegenen Abteikirche von Saint Denis. Dem Abt Suger (1081 -1151), ab 1122 Abt von Saint Denis, kommt in diesem Zusammenhang bahnbrechende Bedeutung zu. Abt Suger (Abbildung unten) verstand im Licht das Wesen göttlicher Substanz. In seinem "Book of Administration" schreibt er, dass ihn Farbglasfenster zum Denken bewegen, vom sichtbar Materiellen ins Inmaterielle hinüberführen, es passiert, "dass ich dabei aus unserer niederen Welt in jene höhere, auf eine geradezu entrückende Art und Weise, befördert werde."
Hans H. Hofstätter: "Im Leuchten der Glasfenster sieht er somit nicht nur die schönste Manifestation Gottes, sondern die Kirchenfenster sind mit ihren bildlichen Darstellungen zugleich göttliche Offenbarung, die das Licht der wahren Sonne, das heißt Gottes, in der Kirche verbreiten und damit die Gläubigen in des Wortes eigentlicher Bedeutung erleuchten." Licht als Grundlage des Sehens und Erkennens; die Glasfenster als didaktische Ergänzung des theologischen Lehrgebäudes Kathedrale.
Die überwältigende Pracht dieser monumentalen Fenster provozierte Widerstand, den insbesondere die Reformorden formulierten und der in Suger's Zeitgenossen Bernhard von Clairveaux (1095 - 1153) personifiziert ist. So charakterisiert gerade die entschiedene Ablehnung aller, nicht der praktischen und liturgischen Funktion dienenden Pracht die Bauten des Zisterzienserordens, dem Clairveaux 1113 beitrat und dessen herausragende Bedeutung ihm zuzuschreiben ist. Da die Ordensregel verbot, die Kirchen mit farbigen Bildern zu schmücken, beschränkten sich die Mönche lange Zeit auf Grisaillefenster (Graufenster) mit Flechtbandmustern und Blattornamenten. Während im Farbfenster die Bleie primär den Zusammenhalt farbiger Scheiben zu leisten haben, übernimmt die Verbleiung im Grisaillefenster eher eine zeichnerische Funktion für die Ornamentik. Sehr bald schon, vor allem im 13. Jahrhundert, wurde die Verbleiung durch Schwarzlotmalerei ergänzt, differenzierter und reicher.
Mit Beginn des 14. Jahrhunderts und der Verfeinerung der technischen Möglichkeiten verstärkten sich die Tendenzen hin zum gemalten Bild, die Figuren gewannen Realitätscharakter und wurden plastisch durchgeformt. Malerische Übergänge, ohne Durchbrechungen von Bleiruten, waren nun möglich, und die immer ausgefeiltere Technik des Überfangens der Gläser führte das Glasgemälde stetig näher an das Tafelbild heran. Konsequenz: Der malerische Anteil verdrängte den musivischen.
War zunächst die Kirche Hauptauftraggeber gewesen, so trat die Glasmalerei vom 15. Jahrhundert an häufiger in den Dienst der Profanarchitektur (Rathäuser, Zunftstuben, Gasthäuser u.ä.). Ein selbstbewußtes, wohlhabendes Bürgertum fand zunehmend Gefallen an den durchscheinenden Bildern, die auf der Rückseite mit Schmelz- oder Schwemmfarben bemalt und eingebrannt, alle malerischen Wirkungen eines Tafelbildes erzielten. Diese sog. "Kabinettmalerei" fand insbesondere in Süddeutschland und in der Schweiz Verbreitung; in diesem Zusammenhang gehört die Hinterglasmalerei, die so häufig mit der musivischen Glasmalerei verwechselt wird.
Die einschneidenden geistesgeschichtlichen Umwälzungen im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit führten dann schließlich zur Ablehnung des farbigen Raumlichts und zur Wiederaufwertung des reinen Tageslichts. Der neue Mensch der Renaissance wollte sich im Kirchenraum nicht der Transzendenz aussetzen lassen, seine Naturvorstellungen hatten keinen Raum für ein Licht, welches das Aussehen der Dinge farblich verändert und den Raum verunklärt. In den deutschsprachigen Ländern bewirkten Humanismus und Reformation, dass sich der Wunsch nach hellen Kirchenräumen durchsetzte. Häufig wurden nur noch farbige Scheiben kleineren Formats zwischen Butzenscheiben und Rautengläser eingesetzt.
Die Kenntnis der Tradition der Glasmalerei, wie sie das Mittelalter so eindrucks- und kunstvoll hervorbrachte, ging in dieser Zeit allmählich verloren, und erst die Romantik ließ das Interesse an ihr wieder leise erwachen. Man strebte allerdings mehr nach einer Wiederbelebung der Technik als nach einer Erneuerung der geistigen und künstlerischen Voraussetzungen. Zudem litt die Glasmalerei des 19. Jahrhunderts an ihrer historisierenden Einstellung. Erst Ende des letzten Jahrhunderts setzte sich die rechte Verwendung der Bleirute wieder allmählich durch, wobei die 1861 von William Morris (1834-1869) in London gegründeten Werkstätten "Morris, Marshall, Faulkner & Co" eine wichtige und inspirierende Rolle spielten, in dem sie stark an der Gotik des Mittelalters orientierte Gegenstände herstellten, die sich deutlich von den Erzeugnissen des historistischen Geschmacks unterschieden.
Zu neuen Lösungen gelangte in der Folge dann auch der Jugendstil mit Louis Comfort Tiffany in den USA oder Melchior Lechter in Deutschland. Von noch größerer Bedeutung für die Zeitgenössische Glasmalerei war der Antipode zu Lechter, Jan Thorn-Prikker (1868-1932, Abbildung links), der aus jugendstilhaften Anfängen zu einer neuen monumentalen christlichen Kunst fand und den ein archaisch ausgerichteter, auf die Architektur bezogener Formenwille trieb. Er wandte sich wieder der alten Technik der reinen Farbgläser zu und setzte nur das aufgetragene Schwarzlot zur Binnenzeichnung und Schattierung ein. Im Sinne des Expressionismus fand er dynamische, Spannung erzeugende Figurenkompositionen. Die Polarität mit Lechter bestand aber nicht nur in stilistischer Sicht, sondern auch darin, dass Thorn-Prikker sich ausschließlich als Entwerfer betätigte, wogegen Lechter gelernter Glasmaler war und sich häufig mit der kunstgewerblichen Einschätzung seiner Schöpfungen konfrontiert sah.
Die Werke Thorn-Prikkers wie auch seine Lehrtätigkeit im Rheinland, schreibt Adam C. Oellers, machten die Region zu einem Zentrum der Glasmalerei und beeinflussten eine ganze Generation von Glasmalern, angefangen von seinen Meisterschülern Heinrich Campendonk und Anton Wendling, über Wilhelm Teuwen, Ewald Mataré, Domenikus Böhm und Georg Meistermann bis hin zu den eigenen konstruktive Prinzipien weiterentwickelnden Künstlern wie Josef Albers, F.W. Seiwert und Otto Freundlich.
Thorn-Prikker und Josef Albers (1888 - 1976), der Lehrer und Glasgestalter am Bauhaus, der Anfang der 30er Jahre nach Amerika emigrierte und in North Carolina und später in Harvard lehrte, bezeichnen die Pole einer Bewegung, die dem Medium Glas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Anschluss an die bildkünstlerische Avantgarde zurückeroberte. Angeregt durch eine neue spirituelle Sicht der Kunst, erneuerte die Glasmalerei ihre geistigen Grundlagen. Die Rückkehr der Malerei zur Fläche und zur reinen Farbe hatte die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Glasmalerei wieder als adäquates Ausdrucksmittel anerkannt wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich gewinnt die Glasmalerei international an Bedeutung. Sowohl in neuer als auch in historischer Architektur erhält sie endlich wieder die ihr spezifische Chance, Licht und Raum zu verwandeln und zu steigern. Die zukunftweisenden Glasfenster der späten 40er und 50er Jahre entstehen wiederum in Frankreich: Leger, Bazaine, Matisse, Braque und Manessier setzen Meilensteine. Doch schon zehn Jahre später ist in Frankreich kaum noch Überdurchschnittliches an Glasmalerei auszumachen. Das weltweite Aufmerken richtet sich nun auf die Bundesrepublik Deutschland.
Der, nach den Kriegszerstörungen, in der Geschichte Europas historisch einmalige Bedarf an Glasfenstern für Kirchen und profane Bauwerke war eine Herausforderung an den künstlerischen Nachwuchs. Diese für die Glasmalerei so fruchtbare Situation verhalf einigen Talenten zur Entfaltung, die mittlerweile zu den führenden Kräften der sogenannten "Deutschen Schule" gehören. Der gebräuchliche Begriff "Deutsche Schule" ist jedoch insofern irreführend, als es sich um durchaus eigenständige Künstlerpersönlichkeiten handelt. Innerhalb dieser "Gruppe", zu der vor allem Wilhelm Buschulte, Joachim Klos, Georg Meistermann, Jochem Poensgen und Ludwig Schaffrath gehören, ist der Einzelgänger Johannes Schreiter ohne Frage einer der originellsten und progressivsten Glaskünstler. Die Bedeutung der glasbildnerischen Werke dieser Persönlichkeiten liegt nicht nur darin, eine wesenhaft an Architektur gebundene Kunst wieder in den Raum integriert, sondern auch die ihre eigenen Möglichkeiten bewahrt und erweitert zu haben.