Kultur und Kommunikation
1954 | Der bleibende Gewinn einer Ohrfeige besteht in ihrer Wiederholung. |
1958 | Prinzipien resultieren aus der Furcht vor neuen Entscheidungen. |
1961 | In der Hingabe liegt der "Profit". |
1962 | Funktionalismus: die Ideologie des Zwecks. |
1964 | Das Verlangen nach Geborgenheit macht den Menschen religiös; das noch größere Verlangen nach Sicherheit aber wieder gottlos. |
1967 | Die Todeserwartung ist für den weithin religionslosen Menschen unseres Jahrhunderts Verunsicherung genug. |
1968 | Für etwas Verständnis haben, bedeutet noch lange nicht, dieses Etwas auch gutheißen zu müssen. |
1970 | Messung: die Wahrnehmung der Quantität. - Anschauung: die Wahrnehmung der Qualität. Demokratie: grundsätzlich die Diktatur der Norm. |
1971 | Prinzipien sind Kaninchenställe für das Ungeheuer Wirklichkeit. Jede Avantgarde ist ein Stück Tradition zur Unzeit. Sakralität ist häufig nichts anderes als die Imponierhaltung architektonischer Orte zur Kompensation von Religionsverlust. |
1972 | Jede Randerscheinigung ist gleichzeitig Symptom für die Beschaffenheit der Mitte. Humor ist, wenn man trotzdem lehrt. Der Handlungsraum für Gesellschaften, die sich keiner sittlichen Norm verpflichtet wissen, ist das Verbrechen. Toleranz als Prinzip: die Arteriosklerose der Menschlichkeit. |
1973 | Altgierig sind Leute, die nur aufs Alte neugierig sind. Sterbehilfe: der endgültige Rausschmiss des Wunders. |
1974 | Die Ratio ist bestenfalls eine Art Sortiermaschine für den manipulierbaren Teil unserer Wirklichkeit. Konzeptionen gleichen meist räderlosen Wagen, an denen selbst die Intuition vergeblich zieht. Logik ist Geist im Rollstuhl. Die perfideste Form der Einsamkeit ist die organisierte Gemeinschaft. Logik: die Filzschuhe für geistige Stubenhocker. Moorbäder sind bestimmt nicht schlecht, aber Humorbäder sind entschieden besser. Aus der Nivellierung grundverschiedener Gültigkeiten entsteht schließlich die Gleich-Gültigkeit. Viele halten diese Lähmungszustände des wertenden Bewusstseins für Toleranz. Information ist ein Narkotikum zur Verwirklichung der Massen-Kultur. |
1975 | Das Sinnvolle kann niemals im Verständlichen aufgehen. Bislang konnte man unangefochten der Meinung sein, dass der Tod alles gleichmache. Inzwischen stehen jedoch die Chancen 1:1, dass wir schon zu Lebzeiten gleichgemacht werden. Wir haben die Geschichtsabhängigkeit des 19. Jahrhunderts keineswegs geheilt; wir haben sie lediglich durch das Übel der Geschichtslosigkeit ersetzt. |
1977 | Dichtung ist mehr Sprache mit weniger Worten. Überfluss zehrt an der Substanz. |
1978 | Leben: der kinetische Aspekt des Seins. Wer seine Kraft damit vergeudet, das Gewöhnliche zu bekämpfen, hat schließlich keine mehr, um das Ungewöhnliche zu fördern. |
1979 | Wenn uns das Neue nicht schon bekannt wäre, würden wir es gar nicht erkennen. |
1980 | Wer resigniert, begeht den Fehler, das, was er denkt, auch noch zu glauben. Ich wehre mich gegen den Pfarrer, die Theologie als eine literarische Form der Denkmalpflege betrachten und sie damit auf den Hund bringen. |
1981 | Überschriften: die Brecheisen des Journalismus, um mit der Tür ins Haus zu fallen. In Demokratien wird geredet, wo gehandelt werden müsste, und in Diktaturen gehandelt, wo geredet werden müsste. |
1985 | Der Tod ist zwar nach wie vor gültig, aber endgültig ist er nicht mehr. Im Reizvakuum der Stille gedeiht nicht nur mit Vorliebe das Denken, sondern auch sein Aufblühen im Transzendieren. Unser Wissen ist lediglich ein Schnörkel an der Wahrheit. |
1986 | Idealisten, die auf die Nase gefallen sind, stehen meist als Zyniker wieder auf. Zivilisation ist Ablenkung. Kultur Erinnerung und Glaube Wahr-Nehmung. Geheiltes Denken führt geradewegs zum Danken. Zivilisation betäubt, Kultur belebt, Religion belastet, Glauben befreit. |
1987 | Alles was uns nicht in die Knie zwingt, stellt uns auf die Beine. Geborgenheit. Das ist die Aufhebung der Grundbefindlichkeit Angst durch Glauben. Ent-Täuschung. Die ungeliebte Basisarbeit Gottes für die Akzeptanz der Wahrheit. |
1988 | Kultur haben heißt, ein leise Wachender unter Millionen laut Schlafender zu sein. Es bedarf wahrhaftig nicht der Entmythologisierung unserer Glaubensinhalte, um sie wieder dem Verstand zugänglich zu machen, sondern es bedarf der Entmythologisierung unseres Verstandes, um ihn wieder für den Glauben fit zu machen. Liberalität: die Flucht vor dem sittlich Unbedingten. Schweigen ist Fasten in Worten. Hinterfragen: das Ansägen der Stuhlbeine im eigenen Haus, bevor man im Besitz neuer Stühle ist. |
1989 | Mit weniger leben, um für mehr dasein zu können: darauf kommt es an. |
1990 | Gaben verlangen Hingabe. Nur Dinge, die Gewicht haben, hinterlassen Eindrücke. Traditionen werden von den meisten leider als Schlafzimmer der Kultur benutzt. Verstand + Gewissen = Vernunft. |
1991 | Aufrichtigkeit richtet grundsätzlich auf - und sei sie noch so umwerfend. "Ich teile Euch mit" bedeutet zugleich: "Ich teile mit Euch." Wie wichtig ist es deshalb, nicht eine durch und durch wurmstichige Hälfte weiterzugeben. |
1992 | Formalismus – das ästhetische Korrelat der Sinnlosigkeit. Frieden ist nicht nur für Tote da. Zeitgeist: seit eh und je ein Geist der Unfreiheit. Eigenartig, dass wir die Sichtblenden, die uns der Zeitgeist aufsetzt, gerne für Weitwinkelobjektive halten. Irregeführte führen irre: da hilft auch keine Pädagogik. Was man nicht regelmäßig tut, tut man in der Regel nur mäßig. Wer bewerten will, muss vergleichen. Verblendete unterhalten Blinde. Mir fällt keine stichhaltigere Charakterisierung unserer gegenwärtigen "Kultur" ein. Schönheit ist die Substanz von Ordnungen und Ordnung das Fundament der Ornamentik. Wir agieren und propagieren entschieden zu viel. |
1993 | Weltbildlosigkeit war schon immer die Vorstufe zur Bildlosigkeit. |
1994 | Nicht alles, was wirklich ist, ist auch wahr; aber was wahr ist, ist ausnahmslos wirklich. |
1995 | Den Funken weitergeben kann nur, wer selber glüht. |
1996 | Was nicht wahr ist, kann nie schön sein. |
1997 | Je kleiner unser Glauben an Gott ist, desto größere Dinge erwarten wir vom Menschen. |
1998 | Wo Gott nicht mehr Gott sein darf, kann auch der Mensch nicht mehr Mensch sein. |
1999 | Von der Kunst der Rede zur Überredungskunst. Am Ende triumphiert die Zerredungskunst. |
2000 | Wo jeder vor seiner eigenen Tür kehrt, ist unversehens die ganze Stadt sauber. |
2001 | Banausen sind Lebewesen, an denen die Kultur vergeblich gerüttelt hat. |
2002 | Verantwortung: Die notwendige Antwort auf das Drängen unseres Gewissens. |
2003 | Nicht Vorschriften bewirken ethische Kurskorrekturen, sondern Vorbilder. |
2005 | Wir haben uns die Laus der Gleichgültigkeit in den Pelz gesetzt. Wenn sie sich sattgefressen hat, bleibt nur noch ein riesiges Loch namens Resignation übrig. |
2006 | „Im Seichten kann man zwar nicht ertrinken“, wie Helmut Thoma einmal schrieb, aber verdursten durchaus! |
2007 | Einsichtslose Leute bleiben aussichtslose Fälle. Oder doch nicht? |
2008 | Wir sind auf Grund unserer unsterblichen Daseinspraxis Hamster im Laufrad. |
2009 | Überzeugungen können nicht den Mund halten. |